Erklärung nach §31 GO BT:
zum Abstimmungsverhalten am 7. November 2024 bei der Abstimmung zum Tagesordnungspunkt 6 zum
Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken
Der weltweit zunehmende Antisemitismus in Wort und Tat stellt ein großes Problem dar, das nicht ignoriert werden darf. Ich sehe es als sehr wichtig an, ein geschlossenes Signal gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland und Europa zu setzen. Ein gemeinsamer interfraktioneller Antrag, wie der Vorliegende der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP hätte ein gutes Mittel dafür sein können.
Trotzdem werde ich mich bei der Abstimmung des Antrags enthalten. Der Notwendigkeit eines klaren Bekenntnisses gegen den weltweiten Antisemitismus geschuldet, kann und möchte ich nicht gegen den Antrag votieren.
Ein Antrag, der wirksam jüdisches Leben in seiner reichen und vielfältigen Tradition schützt, muss klar eine klare Grenzziehung gegenüber denjenigen vollziehen, die Hass befeuern, die Universalität der Menschenrechte verneinen und die Grundwerte unserer Verfassung ablehnen. Ich bin der Überzeugung, dass eine solche klare Grenze erst das Bewusstsein und die Anerkennung ermöglicht, dass auch auf dieser gemeinsamen Basis sehr divergente Auffassungen vertreten werden können.
Die Einschränkung von Drittmitteln für Kultur und Wissenschaft ist kein Beitrag gegen Antisemitismus. Die Folgen sind unabsehbar. Eine damit verbundene, vorgelagerte Meinungsprüfung durch die fördernde Kultur- und Wissenschaftsverwaltungen in Bund, Ländern und Kommunen kann niemand ernsthaft befürworten.
Die Definition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), die der Antrag als maßgeblich für solche Förderentscheidungen zu Grunde legt, ist nahezu uferlos und abstrakt und rechtlich nicht sinnvoll handhabbar. Sie kann dazu verwendet werden, auch Personen, die sich Judenfeindlichkeit aktiv und effektiv entgegenstellen, mit einem Antisemitismus-Verdacht zu belegen. Und dies geschieht bereits. Diese Entwicklung richtet erheblichen Schaden an und schwächt das Bündnis gegen Antisemitismus. Der verfestigte Eindruck, dass es trotz des unbestreitbaren Elends der Palästinenserinnen und Palästinenser in Gaza, der Perspektivlosigkeit im Westjordanland und einer Radikalisierung der israelischen Politik keinen als legitim anerkannten Raum für Kritik an Handeln und Zielen der israelischen Regierung gäbe, gibt der Radikalisierung und Spaltung Auftrieb, anstatt sie zu bekämpfen.
Empathie und Anteilnahme für die zahlreichen zivilen Opfer in Gaza und im Libanon muss im Deutschen Diskurs möglich sein. Ebenso wie deutliche Kritik am unverhältnismäßigen militärischen Vorgehen der israelischen Regierung. Die Leugnung des Existenzrechts Israels, die Verhöhnung der Geiseln und Opfer, die Bedrohung von Jüdinnen und Juden oder das Feiern von Terrorakten der Hamas und Hezbollah haben bei uns hingegen keinen Platz. Es sollte allen Beteiligten darum gehen, die klare Grenze zwischen denen, die unsere Verfassung nicht achten und Hass gegen Jüdinnen und Juden verbreiten, und allen anderen zu ziehen und nirgendwo anders.
Es ist notwendig, die Gesellschaft positiv-emotional durch die gezielte Förderung empathischer Fähigkeiten zu erreichen. Empathie im Sinn einer universalen Menschlichkeit, die auf „vernünftigem Wohlwollen“ (Kant) beruht, ist keine unreflektierte Zauberformel. Sie ist eine kognitiv begründete Fähigkeit, eine auf Schlussfolgerungen basierende Rezeption. Sie ist eine Bewusstseins- und Verstehensleistung, zu denen fast alle in der Lage sind. Es gilt, die Universalität von Empathie stark zu machen. Hierzu macht der Antrag keine Vorschläge. Der zunehmende Ausdruck von Judenhass spiegelt auch eine Verrohung des gesellschaftlichen Umgangs wider.
Tausende, gewichtige Stimmen aus der Zivilgesellschaft, darunter viele jüdische Stimmen, haben sich gegen diesen Antrag positioniert und einen alternativen Entwurf präsentiert, der jüdisches Leben im Rahmen des Rechtes schützen kann, ohne Minderheiten gegeneinander auszuspielen. Diese Stimmen sind wichtige Verbündete im Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus in unserer Gesellschaft. Es ist eine verpasste Chance, dass sie mit ihren Vorschlägen nicht in die Erarbeitung in dem von einer breiten, demokratischen Mehrheit des Hauses formulierten Antrag eingebunden wurden. Ein respektvoller Diskurs mit der Zivilgesellschaft in ihrer ganzen Vielfalt zu einer wirksamen Bekämpfung von Antisemitismus muss stattfinden. Die überwältigend negative mediale Resonanz auf diesen vorliegenden Antrag muss uns ein Auftrag sein, es in Zukunft besser zu machen.
Eine Resolution, die einerseits klare Grenzen zieht, andererseits Institutionen und Menschen und der Kraft des Arguments vertraut und darüber hinaus die hörbare Botschaft sendet, dass sie das Zusammenleben in Deutschland stärken will, würde einen echten Beitrag zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland leisten. Die jetzige Resolution tut dies nicht.
Isabel Cademartori
Mitglied des Deutschen Bundestages
Fundstelle im Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages: https://dserver.bundestag.de/btp/20/20197.pdf#P.25711